Das strafrechtliche Gesetzlichkeitsgebot und Rückwirkungsverbot des Art 7 EMRK begrenzt bis zu einem gewissen Grad auch eine strafbarkeitsbegründende oder -erhöhende Änderung bzw Weiterentwicklung der Rsp, sofern diese nicht vorhersehbar war. Dies wird anhand der aktuellen Rsp des EGMR erläutert. Als Anlassbeispiel dient die überraschende Ausdehnung des Begriffs der „Feuersbrunst“ gemäß § 169 StGB durch den OGH.
- ISSN Online: 1613-7639
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Inhalt der Ausgabe
S. 560 - 571, Aufsatz
Zum Ersatz des Erfüllungsinteresses bei anfänglicher Unmöglichkeit – eine Replik
Die Frage, ob bei anfänglicher Unmöglichkeit der Ersatz des Erfüllungsinteresses zusteht, ist strittig. ME steht grundsätzlich der Ersatz zu, wenn der Schuldner nicht beweisen kann, dass ihn an der Abgabe des Leistungsversprechens keine Sorgfaltswidrigkeit trifft. Koziol meint vor allem, seine gegenteilige Auffassung auf Canaris stützen zu können. Dieser vertritt jedoch spätestens seit dem Jahr 2001 vehement die Auffassung, dass bei Wirksamkeit des Leistungsversprechens trotz anfänglicher Unmöglichkeit das positive Interesse zu ersetzen ist. Damit befindet er sich im Wesentlichen mit meiner schon 1975 veröffentlichten Meinung im Einklang. Die nachstehende Abhandlung setzt sich mit den neuen Gedanken Koziols auseinander.
Bei ungerechtfertigtem Ausschluss der Öffentlichkeit in erster Instanz droht im Zivilprozess die Nichtigkeit des angefochtenen Urteils; sie ist vom Berufungsgericht grundsätzlich amtswegig wahrzunehmen. In einer vielbeachteten Entscheidung schränkte der OGH die Überprüfungsbefugnis des Berufungsgerichts hinsichtlich solcher Ausschließungsbeschlüsse allerdings erheblich ein. Der Beitrag bezieht Stellung zu diesem Judikat und befasst sich mit den Grenzen der Wahrnehmung nichtigkeitsbegründender Öffentlichkeitsverletzung von Amts wegen. Hierzu werden auch verfassungsrechtliche Grundlagen des Öffentlichkeitsprinzips, insbesondere die grundrechtliche Anforderung an das prozessuale Rechtsschutzsystem, und das bisher kaum beachtete Ausschließungsverfahren sowie die Wirkung nicht abgesondert anfechtbarer Ausschließungsbeschlüsse untersucht.
S. 582 - 587, Rechtsprechung
Nachtgastronomie: Zutritt ausschließlich für geimpfte und PCR-getestete Personen war nicht gesetzwidrig
Die Bestimmungen der 2. COVID-19-ÖV betreffend den Zutritt zu Einrichtungen der Nachtgastronomie ausschließlich für geimpfte und PCR-getestete Personen waren gesetzeskonform. Die Einstufung der Nachtgastronomie als risikobehafteten Ort auf Grund besonders ungünstiger epidemiologischer Verhältnisse (erhöhter Aerosolausstoß durch lautes Sprechen, Singen und Tanzen und das Zusammentreffen vieler junger Personen mit niedriger Durchimpfungsrate) war sachlich gerechtfertigt. Die Differenzierung zwischen geimpften und genesenen Personen war angesichts der im Verordnungsakt dokumentierten epidemiologischen Situation und der unsicheren Studienlage hinsichtlich der Transmissionswahrscheinlichkeit von SARS-CoV-2 bei Genesenen verhältnismäßig. Schließlich war auch die ausschließliche Zulässigkeit eines PCR-Tests auf Grund dessen hoher Sensitivität und Zuverlässigkeit anstelle des wenig sensitiven Antigentests nachvollziehbar begründet.
Im Fall der erfolgreichen Anfechtung (hier: nach § 28 IO) eines Kaufvertrags über eine Liegenschaft lebt das im Zuge der Einverleibung gelöschte Belastungs- und Veräußerungsverbot (§ 364c ABGB) zugunsten des Käufers wieder auf.
S. 590 - 591, Rechtsprechung
Kein Anspruch auf Hinzurechnung bei Aufgabe der Vorerbenstellung zugunsten eines Nacherben
Die Aufgabe der Vorerbenstellung zugunsten einer Nacherbin löst keinen Anspruch auf Hinzurechnung nach § 781 ABGB aus.
Der Pflichtteilsberechtigte des Vorerben hat kein Auskunftsrecht nach § 786 ABGB bezogen auf den Wert des von der Nacherbschaft betroffenen Nachlass(-teil-)es, weil insoweit der Nachlass des Vorerben nicht verringert wird.
Der Auskunftsanspruch nach § 786 ABGB beschränkt sich gegenüber einem bloßen Geschenknehmer auf die diesem selbst gemachten Zuwendungen. Es besteht keine Grundlage für die Annahme, der bloße Geschenknehmer habe darüber hinaus eine Verpflichtung, dem Hinzurechnungsberechtigten Auskunft über Schenkungen des Erblassers an Dritte zu erteilen.
Ist weder für den Übernehmer noch für den Übergeber, dessen erster Verbesserungsversuch gescheitert ist, absehbar, wieso es zu einem neuerlichen Auftreten des Problems gekommen ist und mit welchem Aufwand ein allfälliger Mangel behoben werden könnte, so stellt die Vereinbarung eines Termins für eine mögliche weitere Reparatur noch keine Festlegung des Übernehmers zwischen Verbesserung und Wandlung dar; vielmehr dient ein solcher Termin zunächst einmal beiden Parteien dazu, sich Klarheit über das Problem zu verschaffen, die weitere Vorgangsweise zu erörtern und damit der „Diagnose“ des Mangels, noch nicht unmittelbar der Reparatur.
Die Unbrauchbarkeit bzw Unbenützbarkeit des Bestandobjekts ist – ausgehend vom vereinbarten Geschäftszweck – anhand eines objektiven Maßstabs zu beurteilen. Die objektiv bestehende Möglichkeit, ein Liefer- oder Abholservice anzubieten, kann eine zumindest teilweise Brauchbarkeit des Geschäftslokals begründen; dem Mieter steht allerdings der Einwand offen, dass die Etablierung eines von ihm bisher nicht betriebenen Liefer- oder Abholservices nicht (sofort) zumutbar gewesen wäre. Unzumutbarkeit wird jedenfalls dann vorliegen, wenn – etwa aufgrund des fehlenden Kundenkreises – ein nachhaltiges Verlustgeschäft zu erwarten gewesen wäre.
Für die Ermittlung des vereinbarten Geschäftszwecks ist nicht bloß auf den schriftlichen Mietvertrag abzustellen, sondern auch auf die mündlichen Vereinbarungen der Parteien. Daran kann auch ein im Mietvertrag enthaltenes Schriftformgebot nichts ändern, weil ein einverständliches Abgehen von der vereinbarten Schriftform sowohl ausdrücklich als auch stillschweigend jederzeit möglich und zulässig ist.
Steht nach der Vereinbarung der Parteien der Betrieb eines Kaffeehauses (also eines Gastronomiebetriebs) im Vordergrund und ist dieser für die Zeiträume der „Lockdowns“ durch hoheitliche Anordnung untersagt, ist kein Verstoß des Mieters gegen eine mietvertragliche Betriebspflicht anzunehmen.
Der Mieter ist nicht dazu verpflichtet ist, einen von ihm bezogenen „Umsatzersatz“ an den Vermieter herauszugeben, zumal dieser von vornherein nicht an die Stelle des geschuldeten Mietzinses tritt. Für die Zeit des ersten „Lockdowns“ konnte ein solcher Umsatzersatz noch gar nicht beantragt werden (vgl BGBl II 467/2020 und 71/2021).
Spaltet der Verbraucher eine erhebliche Umbaumaßnahme in mehrere, isoliert voneinander abgeschlossene Verträge mit verschiedenen Unternehmern, so ist jeder dieser Verträge im Hinblick auf die Anwendbarkeit des FAGG gesondert zu beurteilen. In aller Regel werden einzelne Gewerke keine „erhebliche Umbaumaßnahme“ iS des § 1 Abs 2 Z 7 FAGG darstellen, weil der mit ihnen verbundene Auftrag nicht die Komplexität und den Umfang eines Eingriffs hat, der der Errichtung eines neuen Gebäudes vergleichbar ist (hier: Entfernung des alten Daches und Herstellung eines neuen Daches beim Ausbau des Dachgeschosses zu einer Wohneinheit).
Im Fall einer Klage eines Fluggastes, dem die Beförderung wegen unzureichender Reiseunterlagen verweigert wurde, hat das zuständige Gericht unter Berücksichtigung der relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob für die Nichtbeförderung vertretbare Gründe gegeben waren (hier: fehlerhaftes Verständnis des Flugunternehmens von den für die Einreise in das Vereinigte Königreich erforderlichen Reisedokumenten). Die Beweislast für das Vorliegen solcher Gründe trifft das Luftfahrtunternehmen.
Die unberechtigte Beförderungsverweigerung gegenüber einem Reisenden ist auch eine Beförderungsverweigerung gegenüber mitreisenden Familienangehörigen, wenn ihnen die Inanspruchnahme des Flugs nicht zumutbar ist.
Wenn das für den Rechtsträger zum Handeln verpflichtete Organ rasche Entschlüsse in einer nur schwer durchschaubaren Situation fassen muss oder hätte fassen müssen, kann nicht schon jedes – ex post als rechtswidrig erkannte – Verhalten auch als schuldhaft iS des § 1 Abs 1 AHG beurteilt werden. Es kommt stets darauf an, ob die vom Organ getroffene Entscheidung bei pflichtgemäßer Überlegung als vertretbar anzusehen ist. Das Argument, dass VO in der Regel nicht unter besonderem Zeitdruck erarbeitet werden müssen, galt gerade in der ersten Phase der COVID-19-Pandemie bei den auf das COVID-19-Maßnahmengesetz gestützten VO nicht.
Dass die Entscheidungsgrundlagen zur Beurteilung, welche Umstände im Hinblick auf welche möglichen Entwicklungen von COVID-19 den Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung geleitet haben, aus dem Verordnungsakt ersichtlich und dort dokumentiert sein müssen, sprach der VfGH erstmals im Erkenntnis V 411/2020 aus. Bei zeitlich davor erlassenen und wieder außer Kraft getretenen VO kann diese Klarstellung in der Rsp des VfGH nicht berücksichtigt werden.
S. 605 - 607, Rechtsprechung
Anwendbarkeit des EKHG auf Kraftfahrzeuge mit elektronischer Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf 10 km/h?
Das EKHG ist auf ein Kraftfahrzeug, bei dem eine elektronische Ausrüstung auf gerader, waagrechter Fahrbahn bei Windstille eine Überschreitung einer Geschwindigkeit von 10 km/h dauerhaft verhindert, nicht anzuwenden. Davon ist auszugehen, wenn – ähnlich wie früher die erforderlichen technischen Eingriffe nur insoweit versierten Personen möglich waren – nun die Überwindung der elektronischen Sperre spezifische, nicht allgemein zugängliche Kenntnisse erfordert (hier: Elektrohubstapler, bei dem die Geschwindigkeitsüberschreitung von 10 km/h nur durch Eingabe eines bloß dem Hersteller und dem Servicetechniker, aber keinem Mitarbeiter des Halters bekannten Codes möglich war).
Mit dem Inkrafttreten der internationalen und konkreten Verpflichtung gemäß HGÜ, eine (Kosten-)Entscheidung des Urteilsstaats zu vollstrecken, kommt Vollstreckungsstaaten und ihren Gerichten kein Ermessen zu, ob sie grundsätzlich vollstrecken wollen oder nicht. Schon aufgrund und nach den Vorgaben des HGÜ ist ein Urteil (einschließlich Kostenzuspruch) im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts des Klägers zu vollstrecken, sodass dieser nach § 57 Abs 2 Z 1a ZPO vom Erlag einer Prozesskostensicherheit befreit ist.
Ist ein Kläger von der Verpflichtung zum Erlag einer Prozesskostensicherheit befreit, dann besteht keine Rechtsgrundlage für eine Auferlegung wegen behaupteter rechtsmissbräuchlicher Klagsführung.
§ 1 NotzeichenG pönalisiert in seinem zweiten Deliktsfall die Inanspruchnahme des Dienstes der Feuerwehr oder einer anderen der Rettung bei Unfällen dienenden Einrichtung durch eine falsche Notmeldung und schützt somit Einrichtungen, die (auch) zur Rettung von Menschen bei Unfällen (oder einer Gemeingefahr) dienen. Aus § 19 Abs 1 SPG ergibt sich, dass die Sicherheitsbehörde als eine (auch) der Rettung bei Unfällen dienende Einrichtung iS des § 1 Fall 2 NotzeichenG anzusehen ist.
Erachtet das Rechtsmittelgericht einen Aussagebefreiungsgrund im Aussagezeitpunkt in tatsächlicher Hinsicht als nicht gegeben, stellt sich die Frage nach einem auf einen solchen bezogenen Verfahrensfehler nicht. Nichtigkeitsbegründend ist nur eine durch mangelnde Beobachtung der in Rede stehenden Pflicht geschehene Verletzung einer nichtigkeitsbewehrten Norm.
S. 610 - 613, Rechtsprechung
Keine Parteistellung geschädigter Bankkunden im aufsichtsbehördlichen Verfahren
Der in § 70 Abs 2 BWG als Schutzzweck genannte Gläubigerschutz ist iS eines kollektiven Gläubigerschutzes zu verstehen und meint die Gesamtheit der Bankkunden. Daher lassen sich für die einzelnen Bankkunden als Bankgläubiger daraus keine subjektiven Rechte ableiten. Ihnen kommt daher mangels Parteistellung kein Recht auf Akteneinsicht in das aufsichtsbehördliche Verfahren nach § 70 Abs 2 BWG zu.
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