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JBL

Heft 4, April 2023, Band 145

eJournal-Heft
  • ISSN Online: 1613-7639

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Inhalt der Ausgabe

S. 205 - 213, Aufsatz

Christian Huber

Viel Lärm um nichts oder doch wenig?

Der Dieselskandal hat in Deutschland hohe Wellen geschlagen. Mit viel Aufwand haben sich die geschädigten Käufer bzw Verbraucherschützer um den Nachweis bemüht, wer beim Hersteller wovon zu welchem Zeitpunkt etwas gewusst hat. Die Zivilgerichte wurden mit Klagen überhäuft; beim BGH wurde (vorübergehend) sogar ein zusätzlicher Senat VIa nur für solche Fälle eingerichtet. Der Beitrag befasst sich allein mit Fragen des Umfangs des Ersatzes. Er kommt zum Ergebnis, dass dem geschädigten Käufer nur in ganz bestimmten Konstellationen und bei bestimmten Reaktionen Schadenersatz in nennenswertem Ausmaß zusteht.

S. 214 - 227, Aufsatz

Matthias Lukan

Primärrechtlicher Rahmen für die Europäische Staatsanwaltschaft – Organisation, Verfahren, Grundrechte

In Österreich wird regelmäßig über die Weisungsfreistellung der Staatsanwaltschaften und die Schaffung eines weisungsfreien General- bzw Bundesstaatsanwalts diskutiert. Mit vergleichsweise wenig öffentlicher Aufmerksamkeit hat bereits am 01.06.2021 eine unabhängige und weisungsfreie Strafverfolgungsbehörde in Österreich ihre Arbeit aufgenommen, nämlich die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA). Die Einrichtung und Tätigkeit der EUStA wirft eine Reihe von primärrechtlichen Fragen auf, die im vorliegenden Beitrag besprochen werden. Das betrifft die besondere Stellung der EUStA in einem speziellen Vollzugsverbund und potentielle (unions)grundrechtliche Probleme.

S. 228 - 233, Rechtsprechung

Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses der Zuständigkeit österreichischer Gerichte im OPEC-Amtssitzabkommen wegen Verstoßes gegen das Recht auf ein faires Verfahren

Die Bestimmung des OPEC-Amtssitzabkommens, wonach österreichische Gerichte – etwa bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten zwischen der Organisation und ihren Angestellten – nur angerufen werden können, wenn die OPEC ausdrücklich auf ihre Immunität verzichtet hat, verfolgt das legitime Ziel, dass die internationale Organisation frei von einseitigen Eingriffen durch den Sitzstaat funktionieren kann. Diese Beschränkung des Zugangs zu Gericht ist jedoch nicht verhältnismäßig, da kein gleichwertiger alternativer Rechtsweg zur Beilegung von arbeitsrechtlichen Streitigkeiten eingerichtet ist.

S. 233 - 234, Rechtsprechung

Verjährung des Anspruchs auf ein Pflegevermächtnis

Beim Pflegevermächtnis nach § 677 ABGB handelt es sich um ein Geldvermächtnis auf Abgeltung von Pflegeleistungen, die der Vermächtnisnehmer dem Verstorbenen zu Lebzeiten erbracht hat. Damit findet § 685 S 2 ABGB Anwendung, sodass es erst nach Ablauf eines Jahres nach dem Tod des Vermächtnisgebers geltend gemacht werden kann.

Durch § 765 Abs 2 ABGB wird eine „reine“ Stundung normiert, die zwar die Fälligkeit unberührt lässt, aber ihre Geltendmachung hinausschiebt und damit den Lauf der Verjährungsfrist hemmt; die Verjährungsfrist für den Anspruch auf den Geldpflichtteil beginnt frühestens ein Jahr nach dem Tod des Erblassers zu laufen. Diese Auslegung gilt auch für § 685 S 2 ABGB.

S. 234 - 236, Rechtsprechung

Hinzu- und Anrechnung von (gemischten) Schenkungen im Pflichtteilsrecht

Der Auffangtatbestand des § 781 Abs 2 Z 6 ABGB erfasst keine Zuwendungen, die bereits die objektiven Voraussetzungen einer (gemischten) Schenkung nach § 938 ABGB erfüllen und daher unter § 781 Abs 1 ABGB fallen können, bei denen die Anrechnung aber nur am fehlenden Schenkungswillen scheitert.

Sollte sich aus der Entscheidung 2 Ob 110/20w, wo im Zusammenhang mit der Errichtung und Aufhebung einer Gütergemeinschaft § 781 Abs 1 und 2 Z 6 ABGB geprüft und ausgeführt wurde, der Auffangtatbestand könne auch solche Rechtsgeschäfte umfassen, bei denen zwar eine Schenkungsabsicht nicht feststehe, aber ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und (allfälliger) Gegenleistung bestehe, Gegenteiliges ergeben, wird dies nicht aufrechterhalten.

S. 236 - 239, Rechtsprechung

Schadenersatzrechtliche Vorteilsanrechnung im Diesel-Skandal

Die Frage der Vorteilsanrechnung betrifft die Berechnung der Schadenshöhe, es geht daher nicht um die Frage des Anspruchsgrundes oder eine Gegenforderung. Grundsätzlich setzt die Vorteilsanrechnung eine subjektiv-konkrete Schadensberechnung voraus, weil es bei objektiv-abstrakter Berechnung unerheblich ist, ob der Geschädigte die Sache nach Eintritt des Schadens veräußert und welchen Erlös er dadurch erzielt hat. Bei objektiv-abstrakter Schadensberechnung ist ein Vorteil nur dann anrechenbar, wenn er am beschädigten Gut selbst entstanden ist.

Generell ist die schadenersatzrechtliche Vorteilsausgleichung aber in jedem Fall nur über Einwendung vorzunehmen. Sie setzt voraus, dass Schaden und Vorteil im selben Tatsachenkomplex wurzeln und das schädigende Ereignis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch einen Vorteil im Vermögen des Geschädigten verursacht hat. Zeitlich und sachlich kongruente Vorteile, die durch das pflichtwidrige Handeln entstehen oder wenigstens im selben Tatsachenkomplex wurzeln, sind anzurechnen, sofern die Anrechnung dem Zweck des Schadenersatzes entspricht und nicht zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führt.

Der Eintritt von Vorteilen aus dem Schadensereignis unter dem Titel des Vorteilsausgleichs fällt nicht in die Beweispflicht des Geschädigten, vielmehr hat der Schädiger die Vorteile zu behaupten und zu beweisen, dies betrifft auch die Höhe des Vorteils und die Kongruenz der Leistung.

S. 239 - 245, Rechtsprechung

Verjährung von Pflichtteilsansprüchen bei postmortaler Abstammungsfeststellung

Die für den übergangenen Noterben maßgebliche kurze Verjährungsfrist des § 1487 ABGB idF vor BGBl I 83/2015 (aF) beginnt unabhängig von der Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten vom Tod des Erblassers bzw der subjektiven Kenntnis des Berechtigten allgemein mit der Kundmachung des Testaments bzw nach Inkrafttreten des AußStrG 2005 mit der Errichtung des Übernahmeprotokolls zu laufen.

Die Verjährungsfrist des § 1487 ABGB aF beginnt bei postmortaler Abstammungsfeststellung nach § 150 ABGB („Vätertausch“) gemäß § 1478 S 2 ABGB erst mit Rechtskraft der Entscheidung im Statusverfahren.

§ 1503 Abs 7 Z 9 S 2 ABGB ist teleologisch so zu reduzieren, dass er nur Fälle erfasst, in denen die Verjährung bereits vor dem Inkrafttreten des ErbRÄG 2015 zu laufen begonnen hat.

S. 245 - 246, Rechtsprechung

Beweislast betreffend die Unternehmereigenschaft bei Bewirtschaftung einer Liegenschaft oder von Bestandobjekten

Geschäfte, die ein Unternehmer abschließt, gelten im Zweifel als zum Betrieb seines Unternehmens gehörig (§ 344 UBG). Auch Abwicklungsgeschäfte – selbst die Veräußerung des ganzen Unternehmens – gehören grundsätzlich zum Betrieb des Unternehmens.

Derjenige, der die Eigenschaft als Konsument für sich in Anspruch nehmen will, muss behaupten und nachweisen, dass die Voraussetzungen für diesen Schutz gegeben sind. Die Beweislast dafür, dass die Bewirtschaftung einer Liegenschaft oder von Bestandobjekten keine dauernde Organisation erforderlich macht und sohin ein Privatgeschäft vorliegt, trifft den selbstverwaltenden Eigentümer bzw Verfügungsberechtigten.

S. 246 - 248, Rechtsprechung

Keine Hemmung oder Unterbrechung der absoluten Erlöschensfrist für Produkthaftungsansprüche durch das 1. COVID-19-JuBG

Die Zehnjahresfrist in Art 11 PHRL bzw § 13 PHG ist als eine absolute Frist zu begreifen, bei der – sieht man von der zwischenzeitigen Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens ab – grundsätzlich keine Hemmung oder Unterbrechung der Frist (hier durch § 2 1. COVID-19-JuBG) in Betracht kommt.

S. 248 - 250, Rechtsprechung

Löschungskriterien für Zahlungserfahrungsdaten (Creditscoring)

Bei der Festlegung der Fristen bzw Kriterien, nach denen sich der Löschungszeitpunkt bestimmt, kommt es auf eine Einzelfallbetrachtung anhand der konkreten Gegebenheiten an, und kann die zulässige Dauer der Aufbewahrung nach ihrem Zweck erheblich variieren (hier: Bonitätsdaten).

Historische Zahlungsinformationen haben umso weniger Aussagekraft, je länger sie zurückliegen und je länger es zu keinen weiteren Zahlungsstockungen und Zahlungsausfällen gekommen ist. Demnach kommt dem Alter der Forderung bzw dem Zeitpunkt des Feststehens des endgültigen Ausfalls der Forderung, dem Zeitpunkt etwaiger Tilgungen und dem seitherigen „Wohlverhalten“ des Schuldners bei der Abwägung entscheidende Bedeutung zu, wobei als Richtlinie Beobachtungs- oder Löschungsfristen in rechtlichen Bestimmungen herangezogen werden können, die dem Gläubigerschutz dienen oder die Erfordernisse an eine geeignete Bonitätsbeurteilung näher festlegen, wie etwa die Kapitaladäquanzverordnung (VO [EU] 575/2013), zu der der (EU-)Verordnungsgeber davon ausgeht, dass für die Beurteilung der Bonität eines (potenziellen) Schuldners bzw des Risikos einer Forderung Daten über etwaige Zahlungsausfälle über einen Zeitraum von zumindest fünf Jahren relevant sind.

Im Rahmen der nach Art 6 Abs 1 lit f DSGVO gebotenen Interessenabwägung wäre eine allfällige massive Belastung des schuldnerischen wirtschaftlichen Fortkommens entsprechend zu berücksichtigen.

S. 250 - 256, Rechtsprechung

Bindung des Insolvenzverwalters an eine nicht ausgeübte Option in einem Miet- und Kaufoptionsvertrag

Wird dem Mietkäufer nach Ablauf der Mietzeit eine Kaufoption eingeräumt, dann ist der Mietkauf als zeitlich aufeinander folgende Koppelung zweier Verträge anzusehen. Ein solcher Mietkaufvertrag ist damit zum einen ein Gebrauchsüberlassungsvertrag, zum anderen ein Optionsvertrag und damit die Grundlage für das allfällige Entstehen eines anschließenden Kaufvertrags. Hinsichtlich der Gebrauchsüberlassung ist (im Falle der Insolvenz über das Vermögen des Bestandgebers) § 24 IO maßgebend. Hinsichtlich der Kaufoption ist § 21 IO maßgebend.

Bringt der Insolvenzverwalter zum Ausdruck, dass § 21 IO nicht anwendbar sei, so kann sein Verhalten grundsätzlich nicht dahin verstanden werden, dass er vom Vertrag nach § 21 IO zurücktrete.

Ein Antrag iS des § 26 Abs 3 IO erlischt mit Eintritt der Insolvenzwirkungen eo ipso. § 26 Abs 3 IO findet auf die noch nicht ausgeübte Option (hier: Kaufoption in einem Miet- und Kaufoptionsvertrag) jedenfalls dann keine Anwendung, wenn sie noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Optionsverpflichteten eingeräumt und das für sie versprochene Entgelt entrichtet wurde.

Der Antrag einer die Verfahrenshilfe bereits genießenden oder sie erst jetzt beantragenden Partei auf Beigebung eines Rechtsanwalts zur Verfahrenshilfe unterbricht gemäß § 464 Abs 3 ZPO die vierwöchige Berufungsfrist. Diese Bestimmung ist gemäß § 505 Abs 2 S 2 ZPO im Revisionsverfahren sinngemäß anzuwenden. Wartet der Verfahrenshilfeempfänger die Namhaftmachung eines Verfahrenshelfers durch Bescheid der Rechtsanwaltskammer nicht ab, sondern bringt er durch einen frei gewählten Rechtsanwalt die Revision ein, ändert dies nichts an der Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels. Selbst die Beigebung eines Verfahrenshelfers hindert die Partei nicht, das Rechtsmittel durch einen frei gewählten Vertreter einzubringen.

S. 256 - 260, Rechtsprechung

Martin Kaplans

Innehaltepflicht des Rechtsmittelgerichts bei Stellung eines Parteiantrags

Die in § 62a Abs 6 VfGG normierte Innehaltepflicht im Rechtsmittelverfahren wird nur durch das Einlangen einer Verständigung des VfGH iS des § 62 Abs 5 S 1 leg cit beim Strafgericht erster Instanz ausgelöst, nicht aber durch die im Rechtsmittel geäußerte Behauptung des Beschwerdeführers, er habe beim VfGH einen Normprüfungsantrag eingebracht.

S. 260 - 261, Rechtsprechung

Voraussetzungen des Abwesenheitsverfahrens und (vermeintliche) Implikationen der Abwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung

Die Durchführung einer Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten ist nicht zulässig, wenn bereits im Zeitpunkt der Durchführung feststeht, dass der Angeklagte durch ein unabwendbares Hindernis vom rechtzeitigen Erscheinen abgehalten worden ist. Bei nicht absehbarer schwerer Erkrankung des Angeklagten ist das Verfahren gemäß § 197 StPO abzubrechen, bei dessen bloß vorübergehender Erkrankung ist die Hauptverhandlung gemäß § 275 StPO zu vertagen. Ist zu Beginn der Verhandlung die aus einer aufrechten Unterbringung resultierende (vorübergehende) Verhinderung des Angeklagten bekannt, verletzt die Durchführung einer Verhandlung in dessen Abwesenheit § 427 Abs 1 StPO und die Unterlassung der Vertagung § 275 StPO.

Aus dem Fernbleiben eines Angeklagten von der Hauptverhandlung kann dessen Einverständnis in die Verlesung von Protokollen iS des § 252 Abs 1 Z 4 StPO nicht abgeleitet werden.

Aus dem Nichterscheinen des Angeklagten zur Hauptverhandlung nach Vertagung ist ein Wiederholungsverzicht iS des § 276a StPO nicht abzuleiten.