Im Verlauf von Überlegungen zum Thema „Rechtszuweisung und Rechtsschutz“ bin ich unter anderem erneut auf das Problem der objektiv-abstrakten Schadensberechnung gestoßen. Eine stärkere Beachtung des Gedankens der Rechts- und Güterzuweisung scheint mir geeignet, neue Argumente zur emotional geführten Diskussion über die objektive Schadensberechnung im österreichischen Schadenersatzrecht beizusteuern. Um dies zeigen zu können, ist aber vorweg auf den heutigen Meinungsstand und die Stichhaltigkeit der bisherigen Argumentationen einzugehen.
- ISSN Online: 1613-7639
60,00 €
inkl MwSt
Inhalt der Ausgabe
S. 777 - 783, Rechtsprechung
Nach Herkunftsstaaten differenzierende Einreiseregelungen der COVID-19-EinreiseV waren verfassungskonform
Die Verkehrsbeschränkungen gegenüber dem Ausland zur Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19 lagen im Einschätzungs- und Prognosespielraum des Verordnungsgebers; die gesetzliche Grundlage war hinreichend determiniert. Eine selbstüberwachte und durch den Einreisezeitpunkt gestaltbare Heimquarantäneregelung stellt keine Freiheitsentziehung dar. Weiters verstößt die Differenzierung nach Herkunftsstaaten bei der Regelung des Einreiseverkehrs angesichts der erheblichen internationalen Mobilität nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz, da den Erfordernissen der Administrierbarkeit des Grenzübertrittsrechtes Rechnung getragen werden musste. Schließlich lag keine unsachliche Ungleichbehandlung von „Daheimgebliebenen und Einreisenden“ vor, zumal auch im Inland erhebliche Verkehrsbeschränkungen galten.
S. 783 - 786, Rechtsprechung
Kein Unterlassungsanspruch wegen Installation eines „Smart Meter“ mit Opt-out-Konfiguration (Ferraris-Zähler II)
Mit dem Einbau und der Verwendung eines „Smart Meter“ (intelligenter Stromzähler) an sich ist weder eine der DSGVO widersprechende Datenverarbeitung noch eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Geheimsphäre (§ 16 ABGB) verbunden, die ihren Einbau oder ihre Verwendung unzulässig machen würden.
Im Rahmen einer Opt-out-Konfiguration gemäß § 1 Abs 6 IME-VO, in der ein (intelligentes) Messgerät nur die Funktion eines (digitalen) Standardstromzählers erfüllt, wird den berechtigten Interessen an einer Auslesung und Abgrenzung des jährlichen Stromverbrauchs im Hinblick auf die durch § 1 DSG bzw Art 8 EMRK geschützten (personenbezogenen) Daten in verhältnismäßiger Weise Rechnung getragen.
Ein Käufer, der in Kenntnis der Betroffenheit seines Fahrzeugs vom „Dieselskandal“ ist und der in diesem Zusammenhang aufgefordert wird, wegen einer – ihm nicht näher erläuterten – Rückrufaktion sein Fahrzeug für ein Software-Update zur Verkäuferin zu bringen, muss dies typischerweise dahin verstehen, dass der Verstoß gegen die geltenden Abgasvorschriften behoben, also sein Auto diesen fortan entsprechen wird. Selbst bei Annahme eines Ablaufs der Gewährleistungsfrist ist das Angebot eines Software-Updates als Anerkenntnis des Gewährleistungsanspruchs und als Verzicht auf die Einrede der bereits eingetretenen Verjährung zu verstehen.
Das ÄsthOpG dient dem vorbeugenden Schutz der Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit von Patienten sowie dem Schutz vor Komplikationen und unerwünschten Folgen bei der Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen ohne medizinische Indikation (§ 1 Abs 1 ÄsthOpG).
Ist eine medizinisch nicht indizierte Operationserweiterung (hier: einer medizinisch indizierten Brustreduktion und ein nicht indiziertes Einbringen von Implantaten zur Brustvergrößerung) mit einer wesentlichen Risikoerhöhung verbunden, sind die Bestimmungen des ÄsthOpG anzuwenden. Das Ziel des Schutzes der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit der PatientInnen sind auch bei Aufnahme anderer Operationsinhalte in eine einheitlich durchgeführte Operation gleichermaßen beachtlich, zumal andernfalls die Gefahr einer Umgehung des Schutzzwecks des ÄsthOpG bestünde.
Das Schriftformgebot des § 5 Abs 1 ÄsthOpG dient nicht (nur) Beweiszwecken, sondern soll erkennbar auch sicherstellen, dass der Patient tatsächliche Kenntnis von den relevanten Informationen erhält, die mitunter umfänglich und in einem mündlichen Gespräch in ihrer Bedeutung und Tragweite nicht leicht einschätzbar sind. Gleichzeitig fördert die Schriftlichkeit der Aufklärung, dass sich der Patient der Ernsthaftigkeit der jeweiligen Information besser bewusst wird. Das Schriftformgebot des § 5 Abs 1 ÄsthOpG ist überdies im Zusammenhang mit der Wartefrist des § 6 Abs 1 ÄsthOpG zu sehen, deren Schutzzweck (ebenfalls) darin besteht, den Patienten eine reifliche Überlegung und Reflexion zu ermöglichen, um eine Einwilligung in die Behandlung oder allenfalls ihre Zurückziehung möglich zu machen. Diese reifliche Überlegung und Reflexion wird durch eine schriftliche Aufklärung gefördert, weil der Patient die Informationen innerhalb der Wartefrist jederzeit verfügbar hat, sie nachlesen und nachprüfen kann. Das Schriftformgebot des § 5 Abs 1 ÄsthOpG ist somit Ausdruck der Selbstbestimmung, sodass ein Verstoß dagegen zu einer mangelhaften Aufklärung des Patienten führt, was – bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen – Schadenersatzansprüche auslösen kann.
Bei Aufklärungsdefiziten iS des § 5 Abs 1 ÄSthOpG (hier: Verstoß gegen das Schriftformgebot), die dazu führen, dass eine ästhetische Operation als rechtswidriger Eingriff in die körperliche Integrität zu beurteilen ist, steht dem behandelnden Arzt der im Schadenersatzrecht nur in Ausnahmefällen ausgeschlossene Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens zu.
S. 793 - 794, Rechtsprechung
Alleinverschulden eines Motorradfahrers bei unzulässigem Rechtsüberholen im Kolonnenverkehr
Ein ordnungsgemäß eingeordneter und den rechten Blinker betätigender Lenker darf darauf vertrauen, dass er gegebenenfalls nur vorschriftsmäßig überholt wird. Er muss also nicht damit rechnen, dass er beim Rechtseinbiegen gleichzeitig auf der rechten Seite (rechtswidrig) überholt wird. Das gilt auch gegenüber Lenkern von einspurigen Fahrzeugen.
S. 794 - 799, Rechtsprechung
Amtshaftung für Verdienstentgang bei schuldhaft verzögerter oder verweigerter Ausstellung eines Aufenthaltstitels
Die Aufenthaltskarte nach § 54 NAG bescheinigt das unionsrechtlich begründete Aufenthaltsrecht und im Zusammenhalt mit Art 23 der RL 2004/38/EG die Berechtigung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger. Wird sie schuldhaft nicht oder verspätet ausgestellt, haftet der Rechtsträger für den dadurch verursachten Verdienstentgang.
Ist der Sachverhalt hinreichend geklärt, ist die Behörde nach § 39 Abs 2 letzter Satz AVG nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, von weiteren Erhebungen Abstand zu nehmen. Das korrespondiert mit der in § 73 Abs 1 AVG normierten Verpflichtung, über Anträge der Parteien ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber sechs Monate nach deren Einlangen zu entscheiden.
§ 73 Abs 1 AVG legt eine Höchstfrist fest, aus der nicht abgeleitet werden kann, dass sie der Behörde jedenfalls zur Gänze zur Verfügung steht. Eine säumige Behörde kann sich daher bei einer unnötigen Verzögerung innerhalb der sechs Monate nicht mit dem Hinweis exkulpieren, es sei ihr jedenfalls diese Zeitspanne zur Verfügung gestanden.
S. 799 - 804, Rechtsprechung
Fristverlängerung nach § 16 Abs 8 MRG auch bei undurchsetzbarer Befristung (Judikaturänderung)
Die in § 16 Abs 8 S 3 MRG normierte Verlängerung der Frist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit der Mietzinsvereinbarung gilt auch dann, wenn die Befristungsvereinbarung mangels eines der Gültigkeitserfordernisse gemäß § 29 Abs 1 Z 3 MRG nicht durchsetzbar ist (gegenteilig noch RS0126514).
Im Fall eines unwirksam befristeten Mietverhältnisses iS des § 29 Abs 3 lit a MRG genügt der Zugang einer einseitigen, auf Anerkenntnis des Bestehens eines unbefristeten Mietverhältnisses gerichteten Erklärung des Vermieters, um die Fristen des § 16 Abs 8 S 2 und 3 MRG auszulösen.
Für die Präklusionsfrist des § 16 Abs 8 MRG sind die für Verjährungsbestimmungen geltenden Vorschriften analog heranzuziehen.
S. 804 - 805, Rechtsprechung
Rechtsmittelfrist bei unrichtiger Entscheidungsform (Urteil statt Beschluss)
Für die Beurteilung, ob ein Urteil oder ein Beschluss vorliegt, ist nicht die tatsächlich gewählte, sondern die vom Gesetz vorgesehene – also objektiv richtige – Entscheidungsform maßgebend, ohne dass es auf den subjektiven Willen des Gerichts ankommt (gegenteilig zu OGH 10 Ob 57/18g; 10 ObS 54/22x ua). Folgt aus der Begründung des Erstgerichts, dass dessen Entscheidung als Beschluss zu werten ist (hier: § 538 Abs 1, § 543 ZPO), der mit Rekurs innerhalb der 14-tägigen Rekursfrist (§ 521 Abs 1 ZPO) angefochten werden kann, so ist ein außerhalb dieser Frist als Berufung eingebrachtes Rechtsmittel verspätet. Eine die Voraussetzung für eine Analogie bildende Lücke, die durch die Anwendung von § 61 Abs 2 und 3 AVG geschlossen werden könnte, liegt nicht vor.
S. 805 - 809, Rechtsprechung
Verstoß gegen den Unterlassungstitel durch eine dem Verpflichteten zuzurechnende Person
Die verpflichtete Partei kann mit Impugnationsklage gegen einen Strafbeschluss geltend machen, den Sachverhalt nicht verwirklicht zu haben, den die betreibende Partei als Zuwiderhandlung im Antrag auf Erlassung des Strafbeschlusses behauptet hat.
Um einen Verstoß gegen den Unterlassungstitel durch ihm zuzurechnende Personen nicht verantworten zu müssen, muss der Verpflichtete soweit notwendig auch der Einhaltung der Unterlassung dienende Weisungen erteilen und im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren Maßnahmen zur Kontrolle ihrer Einhaltung ergreifen. Selbst bei Zurechnung des titelwidrigen Verhaltens eines Dritten steht es dem Verpflichteten mithin frei darzutun, dass er dieses – im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren – nicht verhindern konnte.
Im Exekutionsverfahren ist der Umfang der Verpflichtung des Titelschuldners nur aufgrund des Exekutionstitels festzustellen; es kommt nicht darauf an, was der Verpflichtete nach dem Gesetz zu leisten hat, sondern nur, wozu er im Titel verpflichtet wurde. Bei dieser Beurteilung ist also vom Wortlaut des Titels auszugehen und aus diesem selbst zu schließen, was die Parteien oder das Gericht dabei in Wirklichkeit gemeint haben. Besteht der Titel nur aus Parteienerklärungen, kommt es auf den objektiven Sinn an, der sich aus der Verpflichtungserklärung im Zusammenhang mit dem sonstigen Inhalt des Titels ergibt, nicht aber darauf, was die Partei im Einzelfall gewollt hat. Unklarheiten des Titels gehen zulasten des betreibenden Gläubigers. Ist der Exekutionstitel ein Anerkenntnisurteil, ist eine Berücksichtigung von Entscheidungsgründen von vornherein nicht möglich.
S. 809 - 811, Rechtsprechung
„Unzuständigkeitsurteil“ außerhalb der Hauptverhandlung
Urteile sind, soweit im Einzelnen nichts anderes bestimmt wird, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu verkünden und auszufertigen. Von diesem Grundsatz ist für den Ausspruch der Unzuständigkeit durch das BG gemäß § 447 iVm § 261 Abs 1 StPO keine Ausnahme vorgesehen. Als Sachverhaltsgrundlage eines solchen Unzuständigkeitsurteils dürfen nur in der Hauptverhandlung rechtmäßig vorgekommene Beweismittel herangezogen werden. Werden Verdachtsannahmen maßgeblich auf ein bloß schriftlich vorliegendes und solcherart in der Hauptverhandlung nicht vorgekommenes Sachverständigengutachten gestützt, verletzt das Unzuständigkeitsurteil den Unmittelbarkeitsgrundsatz. Ein bloß schriftlich abgefasstes „Unzuständigkeitsurteil“ widerspricht dem Grundsatz der ausnahmslosen Öffentlichkeit der Urteilsverkündung und ist mangels Verkündung wirkungslos.
Der im schöffengerichtlichen Verfahren – bei erheblichen rechtlichen Abweichungen des Urteils von der Anklage – als vom Regelungsbereich des § 281 Abs 1 Z 8 StPO erfasste Schutzzweck einer § 262 StPO entsprechenden Information wird im geschworenengerichtlichen Verfahren durch die – in der Bedeutung des § 345 Abs 1 Z 4 StPO nichtigkeitsbewehrten – Bestimmungen über die Offenlegung der Fragen an die Geschworenen (§ 310 Abs 1 und 3 StPO) erreicht.
Art 20 Abs 4 B-VG knüpft mit der Wendung „alle mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe“ nicht an einen organisatorischen, sondern an einen funktionellen Organbegriff an. Damit werden nicht nur Organe, die organisatorisch den Gebietskörperschaften zuzurechnen sind und Verwaltungsaufgaben besorgen, zur Auskunftserteilung nach Art 20 Abs 4 B-VG verpflichtet, sondern auch solche, die – ohne organisatorisch in die Verwaltungsorganisation eingegliedert zu sein – mit der „Besorgung von Verwaltungsaufgaben“ betraut sind. Als „Träger der Behindertenhilfe“ in Wien (§ 2 Abs 1 Chancengleichheitsgesetz Wien [CGW]) zählt der Fonds Soziales Wien zu den mit Verwaltungsaufgaben betrauten Organen iS des Art 20 Abs 4 B-VG; dass er dabei als „Träger von Privatrechten“ tätig wird, vermag daran nichts zu ändern.
S. 815 - 817, Korrespondenz
Kein Eingriff in die Privatsphäre durch Austausch von Ferraris-Zähler gegen Smart Meter bei Opt-out-Funktion (OGH 6 Ob 36/22w – Ferraris-Zähler II)
Weitere Hefte aus dieser Zeitschrift