Die amtliche Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse des VfGH bietet auch im Berichtsjahr 2010 interessante Entscheidungen, durch welche Grundsätze und Regelungen des Verfassungsrechts konkretisiert und in der Wirklichkeit des sozialen Lebens zur Geltung gebracht werden. Entscheidungen zum Wahlrecht, der Stellung des politischen Mandatars und zur Staatsfreiheit der Wahlwerbung geben dem demokratischen Prinzip Gestalt. Bei den Grundrechten setzt der Gerichtshof seine bisherigen Judikaturlinien fort, wie sich an den behandelten Beispielen des Gleichheitsgrundsatzes und der Eigentumsgarantie zeigen lässt. Näher beleuchtet werden Fälle zum Raumordnungsrecht, bei denen sich der Gerichtshof in einem Spannungsverhältnis zwischen dem den Planungsbehörden eingeräumten Planungsermessen und den Erfordernissen einer effektiven Kontrolle von Raumordnungsplänen bewegt.
- ISSN Online: 1613-7639
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Inhalt der Ausgabe
S. 556 - 568, Aufsatz
Zu Zweck, Wegfall und Wiederherstellung kreditsicherungsrechtlicher Publizität
Der Beitrag untersucht nach Überlegungen zur Rechtfertigung kreditsicherungsrechtlicher Publizität die Frage, welche Auswirkungen das Erlöschen der Publizität auf wirksam begründete Sicherungsrechte hat.
S. 569 - 576, Aufsatz
Das Friedhofs- und Bestattungsrecht im Wandel – Naturbestattungen und Naturbestattungsanlagen in Österreich
Zurückweisung des Antrages der Krnt Landesregierung auf Aufhebung von Bestimmungen des TKG 2003 betreffend die Vorratsdatenspeicherung; zu enger Anfechtungsumfang.
Zulässige Individualanträge: Die rechtliche Betroffenheit der Antragsteller ist dadurch gegeben, dass die angefochtene Bestimmung des § 102a TKG 2003 ihrem Inhalt und Zweck nach von einer solchen Wirkung auf die Antragsteller als „Benutzer“ von öffentlichen Kommunikationsdiensten ist, dass damit in deren Rechtssphäre eingegriffen wird; kein zumutbarer anderer Weg (etwa Erwirkung von Feststellungsbescheiden oder Entscheidungen der ordentlichen Gerichte nach dem DSG 2000).
Aufhebung des § 134 Z 2a und des § 135 Abs 2a StPO, von Wortfolgen des § 53 Abs 3a Z 3 und des § 53 Abs 3b SPG und des § 102a TKG 2003: Nach Nichtigerklärung der Vorratsdatenspeicherungs-RL durch den EuGH sind § 1 DSG 2000 und Art 8 EMRK jedenfalls wieder uneingeschränkt Maßstab im Gesetzesprüfungsverfahren. Im Hinblick auf die Möglichkeiten der Verknüpfung mit anderen Informationen besteht an den betroffenen Daten ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse iS des § 1 Abs 1 DSG 2000. Unverhältnismäßiger Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz sowie in das Recht auf Privat- und Familienleben durch die gemäß § 102a Abs 1 TKG 2003 auferlegte Pflicht zur Speicherung der Daten auf Vorrat und die „Beauskunftung“ durch Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden: Angesichts der „Streubreite“ des Eingriffs, des Kreises und der Art der betroffenen Daten und der daraus folgenden Schwere des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist es erforderlich, dass der Gesetzgeber durch geeignete Regelungen sicherstellt, dass diese Daten nur bei Vorliegen eines vergleichbar gewichtigen öffentlichen Interesses im Einzelfall für Strafverfolgungsbehörden zugänglich gemacht werden und dies einer richterlichen Kontrolle unterliegt. Durch die aufgehobenen Regelungen, die im Hinblick auf die Beauskunftung von Vorratsdaten auf die Aufklärung von Straftaten abstellen, die mit einem bestimmten Strafmaß bedroht sind, ist jedoch nicht sichergestellt, dass Auskunftsersuchen nur bei Delikten zulässig sind, für die entweder schwere Strafen drohen oder für deren Aufklärung die Verwendung der auf Vorrat gespeicherten Daten wegen der Art der Tatbegehung in besonderem Maße notwendig ist. Ungeachtet des Vorbehalts der gerichtlichen Bewilligung der Auskunft (StPO) und der Befassung des Rechtsschutzbeauftragten und seines Beschwerderechts daher keine Verhältnismäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung. Es sind zwar einzelne Bestimmungen zur Datensicherheit bzw zur Protokollierung des Zugriffs auf Vorratsdaten und Verwaltungsstrafbestimmgen vorgesehen, jedoch keine, die eine missbräuchliche Verwendung von Vorratsdaten durch die zur Speicherung verpflichteten Anbieter unter Strafe stellen. Überdies verliert die Verpflichtung zur Speicherung nach dem TKG 2003 durch die Aufhebung der Bestimmungen der StPO und des SPG über die „Beauskunftung“ ihren – ausdrücklich festgelegten – Zweck zur Gänze; eine Speicherung auf Vorrat ohne konkreten Zweck – auch nur für einen kurzen Zeitraum – ist jedoch jedenfalls verfassungswidrig. Die Regelungen über die Löschung von Daten sind nicht in einer Weise bestimmt, die dem Erfordernis einer gesetzlichen Regelung iS von § 1 Abs 2 DSG 2000 entsprechen (insbesondere ist unklar, ob die Daten unwiderruflich zu löschen sind). Aufhebung weiterer Bestimmungen des TKG 2003 wegen untrennbaren Zusammenhanges.
Zurückweisung des Antrages auf Aufhebung des § 1 Abs 4 Z 7 TKG 2003 (Hinweis auf Umsetzung der RL) mangels Darlegung des behaupteten untrennbaren Zusammenhanges sowie des Antrages auf Aufhebung des – in der angefochtenen Fassung bereits außer Kraft getretenen – § 102c Abs 1, 4, und 5 TKG 2003.
Der Inhaber eines Gastgewerbebetriebs kann einer Privatperson unter Berufung auf das Hausrecht das Betreten seines Lokals untersagen, wenn diese Person das Lokal als „Rauchersheriff“ aufgesucht hat, um die Einhaltung der Nichtraucherschutzvorschriften zu kontrollieren und gegebenenfalls Anzeige zu erstatten. Das gilt – jedenfalls, wenn es sich nicht um einen Mitbewerber oder einen Vertreter eines klagebefugten Verbands (§ 14 UWG) handelt – auch dann, wenn die Person Speisen und Getränke konsumiert hat, um für ihre Kontrollen eine gewisse Zeit im Lokal bleiben zu können.
Beim Hausrecht handelt es sich um einen Abwehranspruch des Eigentümers, der in Analogie zu § 372 ABGB auch dem Mieter einer unbeweglichen Sache (hier: Betreiber des gemieteten Lokals) zusteht.
S. 592 - 596, Rechtsprechung
Verpfändung nach § 452 ABGB: Wirksamkeit trotz vorübergehender Entfernung der Zeichen
Die Wirksamkeit einer Verpfändung durch Zeichen erlischt, wenn die Entfernung der Zeichen durch den Pfandgläubiger oder mit dessen Zustimmung erfolgt, wird darin doch regelmäßig auch der schlüssige Verzicht auf das Pfandrecht zu erkennen sein.
Erfolgt die Entfernung der Zeichen eigenmächtig durch den Pfandbesteller gegen den Willen des Pfandgläubigers oder zumindest ohne dessen Kenntnis, so wird die Wirksamkeit der Verpfändung während der Zeit fehlender Publizität (fehlender Pfandzeichen) – gutgläubigen Dritten gegenüber – nicht bestehen können, ist doch in solchen Fällen fehlender Publizität dem Schutz nicht gesicherter (potenzieller) Gläubiger der Vorrang einzuräumen.
In den Fällen, in denen die Entfernung der Zeichen eigenmächtig durch den Pfandbesteller gegen den Willen des Pfandgläubigers oder zumindest ohne dessen Kenntnis erfolgte, darf allerdings dem Pfandbesteller nicht auch dessen aus dem Verpfändungsvertrag (Pfandbestellungsvertrag) ableitbarer (obligatorischer) Anspruch auf (Wieder-)Herstellung des diesem Verpfändungsvertrag entsprechende Zustands – nämlich auf eine der gebührenden Pfandbestellung entsprechenden Wiederherstellung der Publizität durch Wiederanbringung der Pfandzeichen – abschließend verweigert werden. Kommt es also zur Wiederherstellung notwendiger Publizität durch neuerliche Anbringung der Pfandzeichen, dann kommt auch dem Pfandgläubiger wieder eine gesicherte Position gegenüber erst später auftretenden dritten Gläubigern oder im Fall einer nachfolgenden Insolvenz zu.
Im Anwendungsbereich der Klausel-RL (93/13/EWG) sind sämtliche einschlägigen nationalen Normen (neben § 6 KSchG insbesondere auch § 878 S 2 und § 879 ABGB) richtlinienkonform auszulegen. Damit sind alle Verbraucherverträge, die am oder nach dem 01. 01. 1995 geschlossen worden sind und in den Anwendungsbereich der Klausel-RL (insbesondere deren Art 6 Abs 1) fallen, vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion erfasst.
Eine AGB-Klausel, die eine pauschale Stornogebühr von 20 % des Kaufpreises bei unbegründetem Vertragsrücktritt durch den Käufer vorsieht, während der Verkäufer im Fall unbegründeten Vertragsrücktritts nur die Anzahlung samt Zinsen zurückzahlen muss, ist wegen der unangemessenen Höhe der Stornogebühr und der Einseitigkeit der Klausel zugunsten des Aufstellers gröblich benachteiligend iS des § 879 Abs 3 ABGB.
Der Verpflichtete kann einer Exekutionsbewilligung, die auf einen durch Parteienvereinbarung zustande gekommenen Exekutionstitel (hier: einen vollstreckbaren Notariatsakt) über ein Scheingeschäft gestützt wird, mit Impugnationsklage entgegentreten.
S. 599 - 599, Rechtsprechung
Rekurs des betreibenden Gläubigers gegen Bewilligung der Aufschiebung vor Erlag der Sicherheitsleistung zulässig
Die Rekursfrist zur Bekämpfung des Beschlusses, mit dem der Antrag des Verpflichteten auf Aufschiebung der Exekution gegen Sicherheitsleistung bewilligt wird, beginnt für den betreibenden Gläubiger ab Zustellung zu laufen. Dies gilt unabhängig vom Erlag der Sicherheit. Der zu 3 Ob 35/06b und 3 Ob 73/13a vertretene Standpunkt, dem betreibenden Gläubiger fehle es bis zum Erlag der angeordneten Sicherheitsleistung an einer Beschwer zur Bekämpfung der Aufschiebung, wird nicht aufrechterhalten.
S. 599 - 606, Rechtsprechung
Untreuestrafbarkeit zu Lasten einer Aktiengesellschaft
Der Einwand, wonach nicht die Aktiengesellschaft, sondern die Alleinaktionärin Trägerin des von § 153 StGB geschützten Rechtsguts sei, setzt sich über die Rechtssubjektivität der Aktiengesellschaft hinweg (§ 1 AktG). Eine dem Sonderfall der „Einmann GmbH“ vergleichbare Lage liegt bei einer zu Lasten einer Aktiengesellschaft, die nur eine Aktionärin hat, begangenen Untreue nicht vor, wenn diese Alleinaktionärin eine Aktiengesellschaft mit einer Mehrheit von Aktionären ist und es an einer Einwilligung all dieser Aktionäre zu einer Selbstschädigung mangelt. Eine Überschreitung von der Hauptversammlung aktienrechtlich vorgegebenen Kompetenzen ist auch unter dem Aspekt des § 153 StGB unzulässig. Die Untreuestrafbarkeit kann durch die Zustimmung der Aktionäre oder der Alleinaktionärin grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Bei einer Untreue zu Lasten einer AG ist nicht der Schaden der Aktionäre maßgebend, sondern jener, den die AG als eigenes Rechtssubjekt erleidet.
§ 5f Z 1 KSchG ist dahin auszulegen, dass der Rücktritt des Verbrauchers erst dann ausgeschlossen ist, wenn der Unternehmer eine Erfüllungshandlung gegenüber dem Verbraucher gesetzt hat. Das entspricht auch dem offenkundigen Zweck dieser Regelung: Der Unternehmer soll davor geschützt werden, dass der Verbraucher zurücktritt, nachdem die Dienstleistung schon – zumindest teilweise – erbracht wurde.
S. 599 - 599, Rechtsprechung
Kostenvorbehalt erster Instanz auf jene Kosten begrenzt, die vom Prozesserfolg in der Hauptsache abhängen
Der in erster Instanz ausgesprochene Kostenvorbehalt nach § 52 Abs 1 ZPO erfasst nur die vom Prozesserfolg in der Hauptsache abhängigen Kosten und steht der Kostenentscheidung im Zwischenstreit nicht entgegen (hier: Zwischenstreit über die Revisionszulässigkeit). Dass sich § 52 Abs 3 ZPO nur auf die mit der Entscheidung in der Sache selbst verknüpften Kostenentscheidungen bezieht, ergibt sich schon aus § 52 Abs 1 letzter Satz ZPO, zu dem die Gesetzesmaterialien ausdrücklich ausführen, von der Entscheidung in der Hauptsache unabhängige Kostenentscheidungen sollen (wie bisher) sogleich gefällt werden.
S. 606 - 607, Rechtsprechung
Befangenheit eines UVS-Mitglieds wegen bereits erfolgter Festlegung in der Sache
Wenn das Mitglied eines Tribunals ohne sich auf eine Entscheidung festzulegen und auf neutrale Weise vor der Verhandlung mit einem Parteienvertreter Aspekte einer Rechtssache erörtert, die der Vorbereitung der Verhandlung dienen, so wird dies für sich allein genommen keine Befangenheit oder Ausgeschlossenheit iS des § 7 Abs 1 Z 3 AVG iVm Art 6 Abs 1 EMRK bedeuten. Lässt sich jedoch ein Mitglied eines Gerichts oder Tribunals außerhalb der Verhandlung mit einer Partei auf eine sachverhaltsbezogene Erörterung ein oder lässt es den wahrscheinlichen Ausgang des Verfahrens erkennen, so ist der Anschein der Befangenheit gegeben.
Stellt ein zur Entscheidung in der Sache zuständiges Mitglied eines Tribunals vor der Verhandlung an eine Partei die Anfrage, ein Rechtsmittel zurückzuziehen, und begründet dies damit, dass Deckungsgleichheit mit einem bereits entschiedenen Fall vorliege und dass nicht die Mindeststrafe verhängt werden könne und andernfalls zusätzliche Kosten anfallen würden, so spricht dies für eine bereits erfolgte Festlegung in der Entscheidung und ist dies als eine Verhaltensweise zu werten, die einen wichtigen Grund iS des § 7 Abs 1 Z 3 AVG darstellt, die volle Unbefangenheit des Organs in Zweifel zu ziehen.
S. 608 - 611, Korrespondenz
Korrespondenz zu „Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten im Schiedsverfahren (OGH 16. 12. 2013, 6 Ob 43/13m)“
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