Unternehmen sind für die Festlegung ihres Marktverhaltens (etwa die Bestimmung ihrer Verkaufspreise) einerseits auf Informationen zum Verhalten ihrer Wettbewerber angewiesen. Zu große Transparenz kann andererseits aber zu einer Abschwächung des Wettbewerbs führen, weil sie eine Abstimmung zwischen Wettbewerbern ermöglichen und somit Wettbewerbsdruck reduzieren kann. IdZ hat in den letzten Jahren in der kartellrechtlichen Entscheidungspraxis der Tatbestand des Informationsaustauschs an Bedeutung gewonnen. Die relevanten Fälle betreffen nicht nur den unmittelbaren Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern, sondern vermehrt auch „Vertikalbeziehungen“, zB zwischen Lieferanten und Händlern. Dieser Beitrag soll – unter Darstellung aktueller Entwicklungen in der Entscheidungspraxis sowie des relevanten „soft law“ – einen Überblick geben, welche Verhaltensweisen typischerweise als unzulässiger Informationsaustausch unter das Kartellverbot fallen und unter welchen Umständen selbst einfache Verhandlungsabläufe im Geschäftsalltag Bedenken (und damit ein Geldbußenrisiko) hervorrufen können.
- ISSN Online: 1864-3434
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Inhalt der Ausgabe
S. 241 - 251, Aufsatz
Informationsaustausch als Kartellrechtsverstoß – Aktuelle Entwicklungen auf europäischer und nationaler Ebene
S. 252 - 259, Aufsatz
Probleme im Zusammenhang mit der pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bei Anlageverträgen mit Minderjährigen
Wenn von den gesetzlichen Vertretern langfristige Versicherungsverträge für die Minderjährigen abgeschlossen werden, ist zu beurteilen, ob dieses Rechtsgeschäft der Genehmigung durch das Gericht bedarf. Liegt eine Genehmigungspflicht vor, wird aber keine Genehmigung durch die gesetzlichen Vertreter beantragt, ist zu fragen, ob er dazu gezwungen werden kann oder allenfalls ob auch der Vertragspartner ein derartiges Antragsrecht hat und schließlich welche Rechtsfolgen eine Unterlassung der Antragsstellung mit sich bringen könnte.
Art 4 Abs 1 und Art 9b der RL 2002/21/EG sowie Art 5 Abs 6 der RL 2002/20/EG sind dahin auszulegen, dass ein Unternehmen unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens als Betroffener iS von Art 4 Abs 1 der RL 2002/21 in der durch die RL 2009/140 geänderten Fassung angesehen werden kann, wenn dieses Unternehmen, das elektronische Kommunikationsnetze oder -dienste anbietet, ein Wettbewerber des Unternehmens oder der Unternehmen ist, das bzw die Partei(en) eines Verfahrens zur Genehmigung der Übertragung von Rechten zur Nutzung von Funkfrequenzen nach dem genannten Art 5 Abs 6 und Adressat(en) der E der nationalen Regulierungsbehörde ist bzw sind, und wenn diese E geeignet ist, sich auf die Marktstellung des erstgenannten Unternehmens auszuwirken.
Art 3 Abs 2 der RL 2001/29/EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die das Ausschließlichkeitsrecht der in Art 3 Abs 2 Buchst d dieser RL genannten Sendeunternehmen auf Handlungen der öffentlichen Wiedergabe ausdehnt, die in Direktübertragungen von Sportveranstaltungen über das Internet wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden bestehen könnten, nicht entgegensteht, sofern eine solche Ausdehnung den Schutz der Urheberrechte nicht beeinträchtigt.
Art 2 Abs 1 und 2 lit a und Art 6 Abs 1 der RL 2000/78/EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die die Anrechnung von Schulzeiten, die ein Beamter vor Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegt hat, für die Gewährung eines Pensionsanspruchs und die Berechnung der Höhe seiner Pension ausschließt, nicht entgegenstehen, da sie zum einen objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel der Beschäftigungs- und der Arbeitsmarktpolitik gerechtfertigt ist, und zum anderen ein angemessenes und erforderliches Mittel zur Erreichung dieses Ziels ist.
Art 1 Nr 1 der RL 2003/6/EG und Art 1 Abs 1 der RL 2003/124/EG sind dahin auszulegen, dass sie für die Einstufung einer Information als präzise nicht verlangen, dass aus ihnen mit einem hinreichenden Maß an Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass sich ihr potenzieller Einfluss auf die Kurse der betreffenden Finanzinstrumente in eine bestimmte Richtung auswirken wird, wenn sie öffentlich bekannt werden.
Eine kaufmännische Tätigkeit liegt vor, wenn die Kassiererin in einem Tankstellenshop nicht bloß Geldbeträge entgegennehmen und in der Kassa verbuchen muss, sondern bei einem umfangreichen Sortiment auch die angelieferten Waren auf Qualität untersuchen muss, sowie die Lieferscheine zu überprüfen und zu unterzeichnen hat.
Die Auflösung eines Lehrvertrages bedarf der Schriftform. Ein bloß durch E-Mail erklärter vorzeitiger Austritt durch die Eltern des Lehrlings ist unwirksam.
Eine Nachholung der Austrittserklärung ist dann nicht verspätet, wenn zunächst auch der Arbeitgeber von der Wirksamkeit der Erklärung und von der Auflösung des Lehrvertrages ausgegangen ist. Sobald der Arbeitgeber die Unwirksamkeit der Erklärung erkennt, trifft ihn die Obliegenheit, den Arbeitnehmer zum Dienstantritt aufzufordern. Eine daraufhin erklärte Nachholung der (schriftlichen) Austrittserklärung ist rechtzeitig.
Ansprüche auf Insolvenz-Entgelt setzen den Bestand einer gesetzlichen Pflichtversicherung in Österreich voraus. Auf das bloße tatsächliche Bestehen einer Sozialversicherung in Österreich kommt es nicht an.
Befindet sich der Wohnsitz, Aufenthaltsort und der Ort der Arbeitsverrichtung des Arbeitnehmers in Deutschland und verfügt der in Österreich ansässige Arbeitgeber dort auch über eine feste wirtschaftliche Präsenz, ist für die Sicherung der Ansprüche des Arbeitnehmers im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers die deutsche Garantieeinrichtung zuständig.
Bei einfachen manuellen Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten, die in Bezug auf die Art der Arbeitsausführung keinen ins Gewicht fallenden Gestaltungsspielraum des Beschäftigten erlauben, kann bei Integration in den Betrieb des Beschäftigers das Vorliegen eines Dienstverhältnisses ohne weitwendige Untersuchungen vorausgesetzt werden.
Die Tätigkeit eines Pizzazustellers ist eine einfache manuelle Tätigkeit. Eine gänzlich freie Wahl der Dienste und ein sanktionsloses Ablehnungsrecht der Zusteller kann – entgegen dem Wortlaut eines schriftlichen Vertrages – nicht angenommen werden, weil ein Zustellservice auf fristgerechte Zustellungen finanziell angewiesen ist. Die Verwendung eines eigenen Kraftfahrzeuges schließt das Vorliegen eines Dienstvertrages ebenso wenig aus wie die vereinbarte Bezahlung nur nach erfolgter Zustellung oder das Vorliegen einer Gewerbeberechtigung.
Die Verbraucher- bzw Unternehmereigenschaft eines Gesellschafters ist nach stRsp in wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu beurteilen, worin der Sache nach eine teleologische Reduktion liegt.
Diese teleologische Reduktion hat nicht beim Anwendungsbereich des § 1 KSchG, sondern bei der jeweils konkret fraglichen Norm zu erfolgen.
Bei dieser wirtschaftlichen Betrachtungsweise und der damit verbundenen Beurteilung, welchen Einfluss eine bestimmte Person auf die Geschäftsführung der Gesellschaft nahm bzw nehmen konnte, sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich, sodass regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt, es sei denn, dem Rekursgericht unterläuft eine auffallende Fehlbeurteilung.
Wenn eine Person als Unternehmer eingestuft wird, sodass § 25c KSchG nicht gilt, ist dies keine aufzugreifende Fehlbeurteilung, wenn diese wirtschaftlich erfahrene Person Hälftegesellschafterin einer GmbH war, mag sie auch niemals deren Geschäftsführer gewesen sein, sie in sämtlichen Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Gesellschaftsgründung und in wirtschaftlichen Belangen (zB Höhe der Kreditaufnahme) die Entscheidungen gemeinsam mit ihrem Mitgesellschafter traf, sie dem Fremdgeschäftsführer mitteilte, dass er zwar nicht operativ mitarbeiten werde, wichtige wirtschaftliche Entscheidungen jedoch nur unter ihrer Einbindung und nach vorangegangener Rücksprache getroffen werden, der Geschäftsführer bei der Kreditvergabe ständig Rücksprache mit den Gesellschaftern hielt und der Vertrag erst nach deren Einverständnis abgeschlossen wurde und diese Person ein wirtschaftliches Interesse an dem Kredit hatte, der der GmbH eingeräumt wurde, weil sie ansonsten als Hälftegesellschafterin das Erwerbsgeschäft nicht abeschlossen hätte, und sie auch Kenntnis über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens hatte.
§ 48 GmbHG enthält zwar keine dem § 84 Abs 5 letzter Satz AktG vergleichbare Regelung. Bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen liegt aber die selbe Interessenslage vor, weil der Gläubiger der Aktiengesellschaft und der Minderheitsgesellschafter der GmbH jeweils den gesetzlichen Vertreter der Gesellschaft mit der Begründung in Anspruch nehmen, dieser habe der Gesellschaft in seiner Funktion als deren Vertreter einen Schaden zugefügt. Der wirtschaftliche Erfolg der Klagsführung soll jeweils der insolventen Gesellschaft zugutekommen, deren Massen vom Insolvenzverwalter vertreten werden, der somit auch den Ersatzanspruch wahrnehmen soll. § 7 Abs 1 IO ist daher analog anzuwenden, sodass das Verfahren, in dem ein GmbH-Gesellschafter gemäß § 48 Abs 1 GmbHG Schadenersatzansprüche gegen Geschäftsführer geltend macht, durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen unterbrochen wird.
S. 287 - 292, Rechtsprechung
Zum Recht auf Akteneinsicht im kartellrechtlichen Verfahren; zur Veröffentlichung von Entscheidungen
Auch im Anwendungsbereich nationalen Rechts ist § 39 Abs 2 KartG unanwendbar. Hier ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit der Novellierung des KartG durch das KaWeRÄG 2012 gezielt die private Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen fördern wollte.
Aus diesem Grund ist der vom EuGH hervorgehobene Gesichtspunkt, dass nationale Rechtsvorschriften die Erlangung von Schadenersatz für Wettbewerbsverstöße nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen verallgemeinerungsfähig und auch auf Verstöße gegen das nationale österreichische Kartellrecht übertragbar.
Das Unterbleiben der (ausreichenden) Veröffentlichung der Entscheidung für Geschädigte würde eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des durch Art 6 EMRK und Art 47 Grundrechtscharta garantierten Rechts auf Zugang zu einem Gericht bedeuten, wenn – wie nach dem Wortlaut des § 39 Abs 2 KartG – nur mit Zustimmung der Parteien Akteneinsicht in die Akten des Kartellverfahrens zusteht.
Die Bestimmungen der §§ 37, 37a KartG liefen weitgehend leer, wenn eine entsprechende Information der Öffentlichkeit über derartige bindende Entscheidungen nicht in ausreichendem Maße erfolgte. Wenngleich das Geldbußenverfahren nicht primär den Zweck verfolgt, die Grundlagen für die Führung von Schadenersatzprozessen zu schaffen, ist bei Auslegung des § 37 KartG doch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Verfolgung privater Schadenersatzansprüche wegen Kartellverstößen erleichtern wollte.
Die Frage, ob bzw wann ein Notgeschäftsführer zu bestellen ist, ist einzelfallbezogen zu beurteilen und wirft deshalb regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage auf, es sei denn, dem Rekursgericht unterläuft eine auffallende Fehlbeurteilung.
Keine auffallende Fehlbeurteilung liegt vor, wenn der zur selbstständig vertretungsbefugten Geschäftsführerin Bestellten aufgrund einer einstweiligen Verfügung die Ausübung von Gesellschafterrechten verboten und ihr unter anderem aufgetragen wurde, keine Verfügungen über das Gesellschaftsvermögen vorzunehmen oder dieses zu belasten.
S. 292 - 294, Rechtsprechung
Zur Frage, wann SV-Träger im „geschäftlichen Verkehr“ handeln
Zum geschäftlichen Verkehr gehört nach stRsp jede auf Erwerb gerichtete Tätigkeit; Gewinnabsicht ist nicht erforderlich. Tritt der Staat oder eine sonstige öffentlich-rechtliche Körperschaft nicht als Träger hoheitlicher Befugnisse auf, sondern bedient er sich der Rechtsformen, die auch dem Rechtsunterworfenen zur Verfügung stehen – also etwa des Vertrages –, dann handelt er, auch wenn er nicht nach Gewinn strebt, im geschäftlichen Verkehr. Das gilt nach der Rsp des Senats insbesondere für den Betrieb von Zahnambulatorien durch Sozialversicherungsträger.
Sozialversicherungsträger handeln bei der Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben nicht im geschäftlichen Verkehr.
Verstoßen die Sozialversicherungsträger gegen gesetzliche Beschränkungen (hier: § 153 Abs 3 ASVG), handeln sie nicht mehr im gesetzlichen Auftrag. In diesem Fall können sie sich nicht mehr auf die Ausnahme vom Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts berufen, die vom EuGH für das Kartellrecht begründet und vom Senat für das Lauterkeitsrecht übernommen wurde.
S. 294 - 297, Rechtsprechung
Unzulässige Bereithaltung einer Bildberichterstattung über ein Strafverfahren im Online-Archiv eines Mediums
Bei der Auslegung von § 78 UrhG sind die Wertungen des § 7a MedienG zu berücksichtigen. Erwachsenen, die eines Verbrechens verdächtig sind oder wegen eines solchen verurteilt wurden, kommt der Identitätsschutz nach § 7a MedienG demnach nur dann zu, wenn durch die Veröffentlichung ihr Fortkommen (unter Bedachtnahme auf die Umstände der Tat sowie deren Verfolgung und Bestrafung) unverhältnismäßig beeinträchtigt werden kann. Fehlt diese Voraussetzung, dann ist nach § 7a Abs 1 MedienG – wegen des Zusammenhangs des (angeblichen) Verbrechens mit dem öffentlichen Leben – ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung des Bildes (und anderer Angaben zur Identität) gegeben.
Werden durch die beanstandete Bildnisveröffentlichung berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt, so ist der Einwand der Bekl zu untersuchen, ob ihr Interesse an der Bildnisveröffentlichung überwiegt. Die Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz des Abgebildeten und dem Veröffentlichungsinteresse des Mediums als Ausfluss der freien Meinungsäußerung fällt bei einem im Kern wahren Sachverhalt gewöhnlich zugunsten des Mediums aus. Ein Bildbericht über einen erweislich wahren Sachverhalt ist auch dann zulässig, wenn er für den Betroffenen nachteilig, bloßstellend oder herabsetzend wirkt.
Die fortdauernde Bereithaltung der Bildberichterstattung über eine gegen den Kl erhobene Mordanklage im Online-Archiv des Mediums, in dem dieser Bericht in der Druck- und der Online-Ausgabe erschienen ist, über den Zeitpunkt der Beendigung des Strafverfahrens hinaus, ist nur dann durch das Veröffentlichungsinteresse im Sinn der Meinungs- und Medienfreiheit gerechtfertigt, wenn zugleich und räumlich verbunden auf den Freispruch von der Mordanklage hingewiesen wird.
S. 297 - 298, Rechtsprechung
Amtswegige Tatsachenermittlung im Verwaltungsstrafverfahren und Unionsrecht
Das Urteil des EuGH, Rs C-390/12, Robert Pfleger ua, ist nicht dahin auszulegen, dass der EuGH einem in Österreich geltenden Amtswegigkeitsprinzip eine Absage erteilte. Damit wurde lediglich zum Ausdruck gebracht, dass ein Vorbringen betreffend die Rechtfertigung von Regelungen, mit denen der freie Dienstleistungsverkehr beschränkt wird, vom Mitgliedstaat bzw dessen Behörden zu erstatten ist und auch entsprechend dem Verbot zur Selbstbezichtigung nicht von jenen Personen, gegen die das jeweilige Verwaltungsstrafverfahren im weiteren Sinn (betreffend Übertretungen des GSpG, Beschlagnahmen oder Einziehungen nach dem GSpG) geführt wird. Allenfalls könnten aus der genannten Entscheidung des EuGH noch gewisse Mitwirkungspflichten der Behörde des Mitgliedstaates abgeleitet werden.
Der Gesetzgeber hat mit der Subsidiaritätsregelung des § 52 Abs 3 GSpG idF BGBl I 13/2014 in klarer, dem Bestimmtheitsgebot des Art 18 B-VG entsprechender Weise festgelegt, dass die Anwendung des § 168 StGB gegenüber den Verwaltungsstraftatbeständen des § 52 Abs 1 GSpG subsidiär ist. Aus der Umschreibung des Verwaltungsstraftatbestands des § 52 Abs 1 Z 1 GSpG ergibt sich auch die präzise Regelung der Behördenzuständigkeit: Erfüllt jemand durch eine Handlung den Verwaltungsstraftatbestand des § 52 Abs 1 Z 1 GSpG, ist auf Grund des § 52 Abs 3 GSpG nur die Verwaltungsstrafbehörde zur Verfolgung des Beschuldigten (und in der Folge das Verwaltungsgericht) zuständig. Eine Zuständigkeit der gerichtlichen Strafverfolgungsbehörde wegen des Delikts gemäß § 168 StGB ist nur dann gegeben, wenn eine Strafverfolgung wegen der Übertretung des § 52 Abs 1 (Z 1) GSpG idF BGBl I 13/2014 ausscheidet. Die Frage, ob in Hinblick auf § 52 Abs 3 iVm § 52 Abs 2 GSpG idF BGBl I 13/2014 überhaupt noch ein Anwendungsbereich für den Straftatbestand des § 168 StGB bleibt, ist letztlich von den Strafgerichten zu entscheiden. Selbst wenn auf Grund der Subsidiaritätsregel des § 52 Abs 3 GSpG für § 168 StGB kein Anwendungsbereich mehr bleiben sollte, wie die Erläuterungen zur GSpG-Novelle 2010 ausführen, führte dies nicht dazu, dass § 52 Abs 3 GSpG gegen Art 18 iVm Art 83 Abs 2 B-VG verstößt. Da der Wortlaut des § 52 Abs 3 GSpG eine Entscheidung der Strafgerichte über die Frage, ob und in welcher Hinsicht § 168 StGB – angesichts der Subsidiaritätsregel des § 52 Abs 3 GSpG zugunsten des Verwaltungsstrafrechts – noch einen Anwendungsbereich hat, unter Heranziehung aller Interpretationsmethoden zulässt, verstoßen die angefochtenen Bestimmungen des Glücksspielgesetzes auch aus diesem Grund nicht gegen Art 18 iVm Art 83 Abs 2 B-VG.
In den in Art 91 Abs 2 B-VG (Geschworenengerichtsbarkeit) und Art 91 Abs 3 B-VG (Schöffengerichtsbarkeit) enthaltenen Strafsachen ist die Entscheidung den Strafgerichten vorbehalten. Der VfGH leitet aber in seiner Rsp aus Art 91 B-VG (vgl dazu auch VfSlg 12.282/1990, 12.389/1990, 12.471/1990, 12.546/1990, 12.547/1990, 12.920/1991, 13.790/1994 und 14.361/1995) nicht ab, dass der Gesetzgeber unterhalb der Schöffengerichtsbarkeit gehalten ist, die Ahndung bestimmter verpönter Taten als solcher, das heißt gleichsam „ihrem Wesen nach“ der Vollziehung durch die Strafgerichte zuzuweisen. Der VfGH hat dabei auch festgehalten, dass der einfache Gesetzgeber unterhalb der Geschworenen- und Schöffengerichtsbarkeit „im Rahmen des Art 91 B-VG eine verhältnismäßig weite rechtspolitische Gestaltungsfreiheit (auch) in der Richtung hat, welchem Vollzugsbereich er die Ahndung einer bestimmten strafbaren Handlung zuweist“.
Der VfGH kann im konkreten Fall nicht erkennen, dass der Gesetzgeber mit der Strafdrohung in § 52 GSpG idF BGBl I 13/2014 [Obergrenze Grundtatbestand € 10.000,–, qualifizierte Tatbestände € 30.000,– bzw € 60.000,–] den ihm zustehenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraum überschritten hat. In Hinblick auf diese verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Strafbemessung der verpönten Handlungen besteht für den Gesetzgeber keine Verpflichtung, die Verfolgung und Ahndung dieser Straftaten der Strafgerichtsbarkeit zuzuweisen.
Nach der Rsp des VfGH begrenzt das Sachlichkeitsgebot den Spielraum des Gesetzgebers bei der Festlegung von Sanktionen für rechtswidriges Verhalten. Der VfGH hat es insbesondere für unzulässig angesehen, wenn eine absolute Strafdrohung unabhängig vom Grad des Verschuldens und unabhängig von der Höhe des durch eine Gesetzesübertretung bewirkten Schadens vorgesehen ist (vgl VfSlg 9901/1983 zur Strafe des Verfalls), mit der Folge, dass eine Regelung ihrem System nach ein exzessives Missverhältnis zwischen der Höhe der Strafe einerseits und dem Grad des Verschuldens und der Höhe des verursachten Schadens andererseits einschließt (vgl VfSlg 10.904/1986, ähnlich bereits VfSlg 10.597/1985). In Fortführung dieser Rsp hat der VfGH ausgesprochen, dass das Sachlichkeitsgebot auch den Fall verpönt, in dem ein exzessives Missverhältnis zwischen dem unter Strafsanktion gestellten Verhalten und der als primären Rechtsfolge vorgesehenen Geldstrafe gegeben ist (VfSlg 12.151/1989). Wird hingegen der Strafzweck nur erreicht, wenn die für den Fall des vorsätzlichen rechtswidrigen Verhaltens vorgesehene Strafe derart empfindlich ist, dass ein in der Regel normgemäßes Verhalten durchgesetzt werden kann, stellt sich – solange die Strafdrohung noch keine betragsmäßige Höhe erreicht, die mit den hergebrachten, der Rechtsordnung immanenten Zwecken der Verwaltungsstrafe nicht mehr vereinbar wäre – auch eine Mindeststrafe als verfassungsrechtlich zulässig dar.
Vor diesem Hintergrund bestehen gegen die Mindeststrafdrohungen in § 52 Abs 2 GSpG [Grundtatbestand € 1.000,–, qualifizierte Tatbestände € 3.000,– bzw € 6.000,–] keine verfassungsrechtlichen Bedenken: Der Gesetzgeber hat in § 52 Abs 2 GSpG lediglich die Strafdrohung für Übertretungen des § 52 Abs 1 Z 1 GSpG geregelt und in klar überprüfbarer Weise die Strafhöhe in Form einer Mindest- und Höchststrafe für bestimmte Tatbestände festgelegt, welche bei näher geregelten Qualifikationen der jeweiligen Straftat mit einem erhöhten Strafrahmen versehen ist. Der VfGH kann nicht erkennen, dass zwischen den Mindeststrafdrohungen in § 52 Abs 2 GSpG und dem Unrechtsgehalt der Tat und ihren wirtschaftlichen Folgen ein Missverhältnis besteht und die Mindeststrafdrohungen daher unsachlich sind. Durch die Mindeststrafdrohungen kann das erklärte Ziel des Gesetzgebers, verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs 4 GSpG zu verhindern, effizienter erreicht werden als ohne diese Mindeststrafdrohungen (vgl VfSlg 18.775/2009).
Der Senat hat in der E 4 Ob 145/14y (= ÖBI 2015, 18 [Isak] – Landesausspielung) dargelegt, dass eine Unionsrechtswidrigkeit zur Abweisung der Klage und Bedenken in Bezug auf einen Verstoß gegen höherrangiges nationales Recht zu einer Anfechtung beim VfGH – allenfalls auch durch die in erster Instanz unterlegene Partei iSv Art 139 Abs 1 Z 4 oder Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG („Gesetzesbeschwerde“) – führen müsste. Außerdem stellte er fest, dass die Unvereinbarkeit von Bestimmungen des Glücksspielgesetzes mit der primärrechtlichen Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit in rein nationalen Fällen nicht zur Unanwendbarkeit dieser Bestimmungen führte, sondern allenfalls eine verfassungsrechtlich unzulässige und daher vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmende Inländerdiskriminierung bewirken könnte. An dieser E, die grundsätzlich auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen wird und die aus unionsrechtlicher Sicht Zustimmung gefunden hat (Isak aaO), ist festzuhalten.
Grundlage für die mögliche Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielmonopols, die allenfalls eine verfassungsrechtlich unzulässige Inländerdiskriminierung bewirken könnte, ist nach dem Vorbringen des Beklagten – wie schon in 4 Ob 145/14y – die E des EuGH in der Rs C-390/12, Pfleger. Danach ist Art 56 AEUV „dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, sofern diese Regelung nicht wirklich das Ziel des Spielerschutzes oder der Kriminalitätsbekämpfung verfolgt und nicht tatsächlich dem Anliegen entspricht, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern oder die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen“. Damit macht der EuGH die (unionsrechtliche) Zulässigkeit des Glücksspielmonopols nicht nur von der Zielsetzung des Gesetzgebers, sondern auch von der tatsächlichen Wirkung der Regelungen abhängig. Der Staat hat dabei dem Gericht alle Umstände „darzulegen“, anhand deren „dieses Gericht sich vergewissern kann“, dass diese Bedingungen erfüllt sind. Die Vorlage einer empirischen Untersuchung sei aber nicht zwingend erforderlich.
Aus den gesetzlichen Bestimmungen als solchen ist – nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens – nicht abzuleiten, dass die Ausgestaltung des Glücksspielrechts nicht dem Ziel des Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung diente. Insbesondere können die Regelungen über die Erforderlichkeit und die Voraussetzungen von Konzessionen für das „große“ Glücksspiel und die Beschränkungen für „Landesausspielungen“ (§ 5 GSpG) als erforderliche und verhältnismäßige Maßnahmen verstanden werden, um den offenbar bestehenden und sonst auf illegale Weise befriedigten Spieltrieb eines nicht vernachlässigbaren Teils der Bevölkerung in geordnete Bahnen zu lenken und so ein größeres Übel zu verhindern. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass auch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zuletzt keine Veranlassung für eine unionsrechtsbedingte Nichtanwendung, amtswegige Gesetzesprüfung oder Anfechtung der Verbotsbestimmungen des Glücksspielgesetzes gesehen haben (zB VfGH G 82/12, VfSlg 19.749; B 615/2013; VwGH Ro 2014/17/0120, 0121 und 0123; Ro 2014/02/0026; Z 2012/17/0440).
Die – eine Vorfrage für eine allfällige Verfassungswidrigkeit bildende – Unionsrechtskonformität des Glücksspielgesetzes hängt nach der Rsp des EuGH allerdings auch von tatsächlichen Umständen ab (C-390/12, Pfleger; 4 Ob 145/14y; nunmehr auch VwGH Ro 2014/17/0120, 0121 und 0123). Die einschlägigen Regelungen müssen in ihrer Gesamtheit dazu führen, dass die Gelegenheit zum Spiel verringert und die damit verbundene Kriminalität bekämpft wird. Diese Bedingung wäre etwa dann nicht erfüllt, wenn es trotz der vordergründig restriktiven Ausgestaltung des Glücksspielrechts in den letzten Jahren – auch unter Bedachtnahme auf Landesausspielungen iSv § 5 GSpG und die konkrete Geschäftstätigkeit von Konzessionären – zu einer Ausweitung der Spielsucht samt den damit verbundenen Problemen gekommen wäre. Dazu werden die Parteien in erster Instanz ein konkretes, mit Beweisanboten belegtes Vorbringen zu erstatten haben; dem Bund wird Gelegenheit zu geben sein, sich dazu in Form einer gutachterlichen Stellungnahme zu äußern (1 Ob 71/13t).
Aufgrund der dann zu treffenden Feststellungen wird das Erstgericht zu beurteilen haben, ob die Regelungen des Glücksspielrechts den Anforderungen des Unionsrechts entsprechen. Dabei können die vom EuGH zu Verwaltungs- bzw Strafverfahren getroffenen Aussagen über die Darlegungspflicht des Staates (zuletzt etwa C-390/12, Pfleger) in einem zivilrechtlichen Verfahren schon mangels Parteistellung des Staates nicht unmittelbar herangezogen werden (2 Ob 243/12t). Grundsätzlich ist die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht aber ohnehin als Rechtsfrage von Amts wegen zu prüfen, sodass sich Fragen zu einer derartigen Darlegungspflicht (Behauptungslast) nichtstellen. Können aber bei Regelungen, bei denen – wie hier – sowohl der Wortlaut als auch die erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers (vgl etwa die Materialien zur GSpGNov 2010, BGBl I 2010/73: 657 BlgNR 24. GP 3 [RV], 784 BlgNR 24. GP 1 [AB]) gegen die Annahme eines Unionsrechtsverstoßes sprechen, ausnahmsweise tatsächliche Umstände zu einem anderen Ergebnis führen, so hat sich diese Prüfung grundsätzlich an diesbezüglichen Parteienbehauptungen zu orientieren.
Die in der Beschwerde geäußerte Ansicht, die Zurückweisung der Gewerbeanmeldung stehe mit der Kompetenzverteilung des B-VG nicht im Einklang, insbesondere sei das vom Beschwerdeführer angemeldete Gewerbe der „Privatgeschäftsvermittlung“ zuzuordnen und es bestehe kein zwingender Zusammenhang zwischen Vermittlungs- und Haupttätigkeit, widerspricht der Begründung des Erk des VfGH vom 2.10.2013, B 1316/2012. In diesem führte der VfGH zusammengefasst aus, gegen die Bestimmung des § 2 Abs 1 Z 22 GewO 1994, welche die Vermittlung und den Abschluss von Wetten aus Anlass sportlicher Veranstaltungen (Tätigkeit der Totalisateure und Buchmacher) vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung ausnehme, bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Diese einfachgesetzliche Ausnahmebestimmung entspreche vielmehr – so bereits das Erk VfSlg 1477/1932 – der Verfassungsrechtslage, weil die Regelung der Tätigkeit der „Buchmacher und Totalisateure“ nicht unter den Kompetenztatbestand des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG „Gewerbe und Industrie“ falle, sondern gemäß Art 15 Abs 1 B-VG in der Zuständigkeit der Länder verbleibe. Die Vermittlung von Wettkunden sei im Rahmen eines einheitlichen Lebenssachverhaltes der Tätigkeit der Totalisateure und Buchmacher vorgeschaltet und in diesem Sinne untrennbar mit einer Veranstaltung im Sinne der von der Gewerbeordnung ausgenommenen Unternehmungen öffentlicher Belustigungen und Schaustellungen aller Art im Sinne des Art 15 Abs 3 B-VG verbunden. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, die Vermittlung von Wettkunden an Buchmacher und Wettbüros sei dem Kompetenztatbestand der „öffentlichen Agentien und Privatgeschäftsvermittlung“ zuzuordnen, sei zu entgegnen, dass die Vermittlungstätigkeit per se kein systematisch entscheidendes Abgrenzungskriterium zu anderen Kompetenztatbeständen darstelle. Ungeachtet des Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG sei es nicht zwingend, Regelungen über die selbständige Tätigkeit der Vermittlung von Privatgeschäften kompetenzrechtlich anders einzuordnen als das betreffende Hauptgeschäft.
Die Rechtsansicht, § 2 Abs 1 Z 22 GewO 1994 erfasse ausschließlich die Wettvermittlung nach dem „Totalisatorprinzip“, nicht jedoch die Wettkundenvermittlung, weil eine gegenteilige Auslegung dem Wortlaut der genannten Bestimmung widerspreche, steht – ausgehend von der vom VfGH im zitierten Erk vorgenommenen kompetenzrechtlichen Zuordnung des Tatbestandes „Vermittlung von Wettkunden an Buchmacher und Totalisateure“ zur Zuständigkeit der Länder gemäß Art 15 Abs 3 B-VG sowie der zwischen der Tätigkeit der Totalisateure und Buchmacher und der Vermittlung von Wettkunden an diese bestehenden untrennbaren Verbindung – schon die gebotene verfassungskonforme Interpretation des Ausnahmetatbestandes entgegen.
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